Ist das so?
„Aber natürlich Herr Joseph, unsere Kunden fordern die ISO Zertifizierung von uns!“
Der Kundenzwang ist für viele Unternehmen der einzige Grund für die Einführung eines Managementsystems nach z.B. ISO 9001, ISO 14001, OHSAS 18001 oder Branchenstandards.
Faktisch gibt es zu viele Geschäftsführer und Führungskräfte in zertifizierten Unternehmen, die nicht erklären könnten, was z.B. ein Qualitätsmanagementsystem ist und erst recht nicht, wozu es „zu gebrauchen“ ist. Es bleibt oftmals bei pauschalen Phrasen wie z.B. „Qualität ist sehr wichtig“ oder „Wir wollen uns ständig verbessern“. Fragt man nach konkreten Maßnahmen oder Projekten, so wird man nicht selten an den QMB verwiesen: „Das Qualitätsmanagement macht bei uns der Herr Müller“. – Armer Herr Müller!
Ich habe den Eindruck, dass Managementsysteme (egal ob Qualität, Umwelt, Arbeitsschutz, Hygiene, Informationssicherheit, …) in den vergangen 20 Jahren unnötig kompliziert vermittelt wurden. Faktoren bzw. Ursachen, die zu dem schlechten Ruf der Normen beigetragen haben sind anteilig:
- Berater, die ihren Kunden Standardlösungen (z.B. Musterhandbücher oder starre Konzepte, welche nicht zum Unternehmen passen) „aufzwingen“, ohne den Kunden über die Grundlagen von Managementsystemen aufzuklären.
- Zertifizierungsauditoren, die sich als „wichtig“ aufspielen oder Erbsen zählen, statt ein Managementsystem zu bewerten.
- Begriffe der Norm, die ohne Erklärung den meisten Menschen nicht geläufig sind.
- Und letztlich der Zwang etwas aufzubauen, wovon man (anscheinend) keine Ahnung hat.
Dabei ist ein Managementsystem kein Hexenwerk! Es werden organisatorische Regeln vereinbart, hinterfragt und optimiert. Das macht eigentlich jedes Unternehmen, jedoch in der Regel nicht schriftlich, wenig systematisch und oftmals zu spät, nämlich erst dann, wenn Probleme bereits offensichtlich geworden sind.
Bei einer Zertifizierung muss ein Unternehmen nachweisen, dass es die von den Normen geforderten Themen* nachweislich umsetzt und vorbeugend nach Verbesserungen strebt. Dafür muss es seine Regeln in einem Handbuch dokumentieren und systematisch bewerten (Kennzahlen, interne Audits und Bewertung durch die oberste Leitung). Im Rahmen eines Zertifizierungsaudits bewertet ein Zertifizierungsauditor drei Dinge:
- Enthält das Handbuch zu allen von der Norm geforderten Themen Regeln?
- Erscheinen die Regeln angemessen?
- Halten sich alle Mitarbeiter an diese Regeln?
Kann der Zertifizierungsauditor alle Fragen positiv bewerten, bekommt das Unternehmen ein Zertifikat.
* Anmerkung: Wenn Sie Standardnormen wie z.B. die ISO 9001 lesen, werden Sie feststellen, dass die Anforderungen meist vernünftig und sinnvoll sind.
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Ja, denn Organisationen brauchen Regeln für ein effektives Miteinander. Mit zunehmender Unternehmensgröße und komplexeren Anforderungen hilft zudem die Dokumentation von den Regeln in einem Handbuch (z.B. im Intranet hinterlegt).
Daher sollte eine Zertifizierung nicht als lästiges Übel betrachtet werden. Vielmehr bieten Zertifizierungen die Chance, das eigene Unternehmen auf den Prüfstand zu stellen und systematisch zu optimieren.
Berater sollten Sparringpartner bzw. Ideengeber sein und dem Unternehmen pragmatische Hilfestellungen bieten. Und auch der Zertifizierungsauditor kann als Partner gesehen werden, der auf Schwachstellen aufmerksam macht (er nennt diese Hinweise oder Nebenabweichungen) und von Jahr zur Jahr Verbesserungen festzustellt.
Allerdings gibt es auch Schwachsinn (mir fällt kein besserer Begriff ein): Ich habe die Anfrage von einer Einzelfirma, dessen einziger Mitarbeiter und Geschäftsführer seit über 20 Jahren seine Kunden zufriedenstellend beliefert und von dem nun ein ISO 9001 Zertifikat verlangt wird. Wahrscheinlich nur, damit der Einkäufer seines Kunden im SAP das Häkchen „ist zertifiziert“ setzen kann, um weiterhin dort bestellen zu dürfen. So etwas ist Quatsch!
Anmerkung: Dieser Artikel ist in der Ausgabe Januar 2013 der Industrial Quality erschienen.