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Böse Zungen behaupten, dass der Nutzen von ISO 9001 Zertifizierungen auf der Umsatzseite von QM-Berater*innen und Zertifizierungsgesellschaften liegt, flankiert von Schulungsanbietern, Fachbuchautor*innen und dem Beuth-Verlag.
Gleichzeitig fordern weiterhin Kunden verschiedener Branchen von ihren Lieferanten eine Zertifizierung nach ISO 9001 oder ein entsprechendes Branchenzertifikat (IATF 16949, ISO 13485, IFS, …).
Da stellt sich die Frage nach dem realen Nutzen eines ISO 9001 Zertifikats.
Nutzen? Nutzen für wen? Für die zertifizierten Unternehmen oder deren Kunden?
Um die Frage beantworten zu können, muss man verstehen
- was ein Qualitätsmanagementsystem ist,
- welche Anforderungen die ISO 9001 formuliert,
- was Unternehmen tun, um sich zertifizieren zu lassen und
- wie letztlich ein Zertifizierungsaudit abläuft.
In diesem Artikel werde ich diese Punkte kurz erläutern, bevor die ich die Frage zum Nutzen beantworte.
Was ist ein Qualitätsmanagementsystem?
In Unternehmen interagieren mehrere Personen, um gemeinsam Ziele zu erreichen. Hierbei stoßen unterschiedliche Charaktere mit verschiedenen Interessen aufeinander. Der Begriff „System“ weist darauf hin, dass dieses Miteinander komplex ist.
Durch Managementaktivitäten versuchen Unternehmen die Komplexität zu beherrschen. Hierzu gehören unter anderem das planen, durchführen, analysieren und verbessern von Arbeitsabläufen.
Orientieren sich die Managementaktivitäten an den Qualitätsanforderungen von Kunden, dann spricht man von einem Qualitätsmanagementsystem (QMS oder QM-System).
Alle Unternehmen, die ihre Kunden zufriedenstellen wollen, verfügen demnach über ein mehr oder weniger wirksames QM-System.
Was fordert die ISO 9001?
Bereits in Ende der 1980er Jahre hat sich ein Gremium (technisches Komitee) der Aufgabe gewidmet, Mindestanforderungen für ein wirksames Qualitätsmanagementsystem zu definieren. Resultat ist die ISO 9001, die erstmal 1987 veröffentlich wurde und seither regelmäßig aktualisiert wird.
Zu diesen Mindestanforderungen gehören Themen aus unterschiedlichen Bereichen eines Unternehmens. Hier ein paar verkürzt dargestellte Anforderungen aus der ISO 9001:
- Mitarbeitende müssen für ihre Aufgaben kompetent sein.
- Bevor Unternehmen einen Auftrag annehmen, müssen sie sicherstellen, dass die Kundenwünsche richtig verstanden wurden. Zudem muss die Machbarkeit geprüft werden.
- Wo gemessen wird, müssen angemessene Mess- und Prüfmittel eingesetzt werden.
- Wenn Fehler passiert sind, muss man versuchen ein erneutes Auftreten zu verhindern.
- …
Leider ist der Normtext nicht einfach zu lesen. Wenn man die Norm jedoch richtig interpretiert, findet man sehr sinnvolle Themen, um die sich gute Unternehmen gewissenhaft kümmern sollten.
An keiner einzigen Stelle der ISO 9001 ist definiert, WIE eine Normanforderungen umzusetzen ist.
Wie erlangen Unternehmen ein Zertifikat?
Im Idealfall hinterfragen sich Unternehmen selbstkritisch, wie gut sie die Anforderungen der ISO 9001 bereits erfüllen. Stellen sie hierbei Verbesserungsmöglichkeiten fest, so sollten sie diese ergreifen. Ist ein Unternehmen zu allen Themen gut aufgestellt, steht einer erfolgreichen Zertifizierung nichts im Wege.
Leider sieht die Realität oftmals anders aus.
Unternehmen beauftragen Einzelpersonen (QM-Beauftragte oder QMBs) mit dem Zertifizierungsprojekt. Je nach Kenntnisstand der QM-Beauftragten werden zusätzlich QM-Berater*innen zur Unterstützung beauftragt. Gemeinsam wird (teilweise schriftlich) festgelegt, wie die Anforderungen der ISO 9001 im Unternehmen umgesetzt werden sollen.
Im schlimmsten Fall erstellt das Team aus QMB und Berater*in eine QM-Dokumentation, die zwar alle Anforderungen der ISO 9001 berücksichtigt, jedoch keinen wirklichen Bezug zum Unternehmen hat (Musterhandbuch). Etwas besser wird das Ergebnis, wenn Führungskräfte und Mitarbeitende beim der Festlegung eingebunden werden.
Ein schlechtes QM-System erkennen Sie an den folgenden Kriterien:
- Nur QM oder Berater*in können das QM-System erklären.
- Die Struktur der Dokumentation orientiert sich an den Normkapiteln und nicht and der Aufbau- oder Prozessorganisation des Unternehmens.
- Dokumente können nur vom QM oder Berater*in geändert werden.
- Führungskräfte kennen nicht ihre Führungsaufgaben im QM-Kontext. Sie ärgern sich lediglich darüber, dass die einmal im Jahr (kurz vor dem Audit) ihre Dokumente auf Aktualität überprüfen sollen.
- Führungskräfte und Mitarbeitende machen Dinge bzw. dokumentieren etwas wegen der ISO 9001 bzw. für die Zertifizierungsauditor*innen.
Wie laufen Zertifizierungsaudits ab?
Gute Zertifizierungsauditor*innen versuchen die Unternehmen zu verstehen. Hierbei bewerten sie für sich, welche Aktivitäten und Nachweise bedeutend sind. Die Erkenntnisse werden den Anforderungen der ISO 9001 gegenübergestellt, um Konformität zu finden. Es entsteht ein offener Dialog zwischen Auditor*in und verschiedenen Mitarbeitenden des Unternehmens.
Nicht so gute Zertifizierungsauditor*innen gehen checklistenartig die Normanforderungen durch und lassen sich alles schirftlich darlegen. Leider auch zu Anforderungen, zu denen die ISO 9001 keine Dokumentation fordert. Es wird viel mitgeschrieben, aber nur wenig zugehört.
Ganz schlechte Zertifizierungsauditor*innen hängen sich z.B. an einem Aushang der Qualitätspolitik auf, zu dem im Intranet eine neuere Version vorliegt. Diese Auditor*innen haben kein Gespür für die Auswirkung auf die Qualität zum Kunden. Die Aktualität einer Zeichnung in der Produktion hat i.d.R. eine viel höhere Bedeutung als eine Information am schwarzen Brett.
Unabhängig von der Qualität der Zertifizierungsauditor*innen werden im Audit Verbesserungspotenziale (Hinweise) oder Abweichungen von Normanforderungen identifiziert. Bei den Abweichungen wird unterschieden, wie groß die Auswirkung auf die Erfüllung von Kundenanforderungen sind. Nebenabweichungen müssen bis zum nächsten Audit geschlossen sein und bei Hauptabweichungen müssen Unternehmen innerhalb von 3 Monaten nachweisen, wie diese behoben wurden.
Das ISO 9001 Zertifikat wird so oder so erlangt (was eventuell auch daran liegt, dass konkurrierende Zertifizierungsgesellschaften und Auditor*innen damit ihr Geld verdienen).
Was bringt ein ISO 9001 Zertifikat?
Wenn ein Unternehmen ISO 9001 zertifiziert ist, dann sagt das leider sehr wenig über Fähigkeit aus, Kundeanforderungen zu erfüllen.
Agierende Unternehmen, die eh gut aufgestellt sind und ihre Arbeitsabläufe immer schon kritisch hinterfragt haben, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit die QM-System-Einführung als Chance begreifen noch genauer hinzusehen und noch besser zu werden. In den jährlichen Audits werden diese Fortschritte mit Stolz präsentiert.
Reagierende Unternehmen, die von Kundenanforderungen genervt sind, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zertifikat erhalten, jedoch wenig in ihrer Organisation verändern. Die jährlichen Audits werden zur Qual, da im Vorfeld panisch Dokumente aktualisiert werden und die Arbeitsbereiche aufgeräumt werden müssen.
Viele Unternehmen bewegen sich zwischen diesen Extremen von agierender und reagierender Organisation. Es ist zu jedoch befürchten, dass von den ca. 60.500 in Deutschland erteilten Zertifikaten die meisten aus einem gewissen Zwang heraus entstanden sind (Eintrittskarte, Marktzugang , Branchenanforderung, Kundendruck).
Anhand eines ISO 9001 Zertifikats lässt sich leider nicht erkennen, ob viel Show für Auditoren betrieben wurde oder ob ein gutes QM-System gelebt wird. Bei der Suche nach Lieferanten sollten Sie sich daher nicht auf Zertifikate verlassen.
Unternehmen, die ein Zertifikat benötigen (oder auch schon eins haben), sind gut beraten das Zertifizierungsprojekt (und die fortlaufende Pflege) als Chance zur Selbstreflexion und Verbesserung zu betrachten. Ansonsten betreiben Sie ggf. viel Blindleistung für den Erhalt einer Eintrittskarte in den Markt. Letzten Endes entscheidet wahrscheinlich die vom Kunden wahrgenommene Qualität und nicht das ISO 9001 Zertifikat über den Erfolg Ihres Unternehmens.