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Mit der Frage nach dem „warum“ hat Simon Sinek ganze Bücher gefüllt und er kann davon leben. Tatsächlich wird die Warum-Frage viel zu selten gestellt. In diesem Beitrag soll die Frage „Warum ISO 9001 Zertifizierung?“ aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden.
Der typische Einstieg
Die meisten zertifizierten Unternehmen wurden ursprünglich von ihren Industriekunden zur Zertifizierung gedrängt. Inzwischen fordern auch Kostenträger (z.B. Bundesagentur für Arbeit) oder Versicherungen (z.B. Krankenkassen) den Nachweise eines QM-Systems.
Hieraus ergibt sich für Entscheider eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Was kostet uns eine Zertifizierung und sichert diese unser Geschäft? Aus Entscheider-Perspektive kann das zu folgender Grundhaltung führen: „Die ISO 9001-Zertifizierung ist ein notwendiger Kostenfaktor. Wir müssen in QMB, Beratung und Zertifizierung investieren, damit dem Kunden ein Zertifikat zugesendet werden kann.“ Mit dieser eher negativ vorbelasteten Haltung wird alles Erforderliche getan, um die „Pappe für die Wand“ zu erhalten. Die Sinnfrage wird selten gestellt. Das ISO 9001 Zertifikat scheint Sinn genug.
Der seltene Einstieg
Seit 2001 durfte ich knapp 100 Organisationen auf dem Weg zur ISO 9001 oder anderen QM-Branchenstandards begleiten. Hierunter gab es nur wenige Aufträge, bei denen die Zertifizierung als freiwillige Lernchance ohne Kundendruck gesehen wurde. Jedoch hat es stets zu einer sehr positiven Haltung bei allen Führungskräften und Mitarbeitenden geführt. Im Rahmen von QM-Workshops wurden kreative Ideen entwickelt. Vertrauen und Freiheitsgrade seitens der Führung ließen zu, dass aus Ideen konkrete Projekten umgesetzt werden.
Rückblickend denke ich, dass über gelebte QM-Systeme agile Organisation etabliert werden können. Auf diesem Weg erzielen Unternehmen eine hohe Personaltreue, Kostenersparnisse, neue Produkt- bzw. Dienstleistungsideen, Reduzierung von Demotivatoren und effektivere Prozesse. Ach ja, ein Zertifikat gibt es noch dazu.
Ein Einstieg der immer passt
Auch wenn Unternehmen die ISO 9001 aufgezwungen wird, sollten am Anfang des QM-Projektes folgende Fragen gestellt werden:
- Was ist ein Qualitätsmanagementsystem?
- Was fordert die ISO 9001?
- Welche Anforderungen setzen wir bereits mehr oder weniger gut um?
- Was können wir aus den Anforderungen der ISO 9001 lernen?
Diese Fragen wirken auf den ersten Blick banal. Jedoch habe ich zu oft beobachtet, wie mit wildem Aktionismus versucht wird, Normthemen in die Organisation zu pressen.
„Wenn Du keine Zeit (kein Budget) hast,
[Ruth Kohn]
dann nimm Dir am Anfang besonders viel davon.“
In meinen Projekten investiere ich inzwischen viel Zeit in die Aufklärung zur ISO 9001 und fokussiere sehr stark auf den Sinn für die Organisation. Nach dem Motto: „Wenn uns der Kunde schon zu etwas zwingt, dann sollte dieses Projekt einen Nutzen haben.“
Warum ISO 9001 Zertifizierung?
Der sinnvolle Weg zu einem Zertifikat beantwortet die Frage nach dem „Warum“ nur teilweise. Zusätzlich hilft ein Blick in die Vergangenheit. Anfang der 1990er Jahre haben verschiedene Entwicklungen dazu geführt, dass von Lieferanten der Nachweis eines QM-Systems verlangt wurde. Hierzu zählen sicherlich:
- Globalisierung und Kostensenkung: Kunden erscheint der Aufwand zur Bewertung und Entwicklung von Lieferanten schlichtweg zu aufwändig. Neben Reisekosten und -zeiten müssen Kultur- und Sprachbarrieren überwunden werden. Da ist es wesentlich billiger und einfacher, jemanden vor Ort mit der Bewertung der potenziellen Lieferfähigkeit zu beauftragen.
- Verschiebung von Verantwortung, gepaart mit rechtlicher Absicherung: Es ist leichter mit dem Finger auf eine Zertifizierungsgesellschaft zu zeigen, als sich selbst eine Fehlbewertung zur Qualität des Lieferanten einzugestehen.
- Zunehmende Komplexität in der Fertigung: Einzelkomponenten und Baugruppen sowie deren Herstellungsprozesse haben einen Grad an technischem Knowhow erreicht, dass es sogar für einen technischen Einkauf schwierig ist, die Kompetenz und Zuverlässigkeit vor Ort beim Lieferanten zu bewerten. Da Zertifizierungsauditor*innen Branchenkenntnisse nachweisen müssen, erhofft man sich eine bessere Einschätzung des Lieferanten.
Wahrscheinlich gibt es weitere Gründe, um von Lieferanten den Nachweise eines funktionierenden QM-Systems einzufordern und somit eine Antwort auf das „Warum“ geben zu können. Das ist jedoch lediglich die Sicht der Kunden.
Lieferantenperspektive
Aus der Sicht der Lieferanten bestand die Hoffnung, dass mit der Zertifizierung weniger Kundenaudits stattfinden würden. Diese Hoffnung hat sich bei vielen Lieferanten schnell in Luft aufgelöst. Da stellt sich aus Lieferantensicht schon die Frage, warum eine ISO 9001 Zertifizierung weiterhin aufrecht erhalten bleiben soll. Geht es tatsächlich nur darum, dass im SAP-Lieferantenstamm des Kunden das Häkchen „ISO 9001“ gesetzt ist?
Aus neutraler Sicht entsteht der Eindruck, dass zwar Zertifikate gefordert werden, man diesen jedoch kein Vertrauen schenkt. Bitte verstehen Sie mich an der Stelle nicht falsch. Ich finde es gut und wertvoll, wenn Kunden ihre Lieferanten besuchen und Unterstützung zur besseren Zusammenarbeit anbieten. Hingegen stoßen projektunspezifische und dokumentationslastige Audits vom Kunden auf weniger Verständnis.
Über die wahrgenommene Qualität von Audits (sowohl von Kunden, als auch von akkreditierten Zertifizierungsstellen) werde ich mich an dieser Stelle nicht auslassen, auch wenn diese Erfahrungen maßgeblich beeinflussen, wie die Sinnhaftigkeit von Audits seitens der Lieferanten gesehen werden.
Was übrig bleibt, ist der Nutzen durch Verbesserungen aus QM-Aktivitäten.
Was wäre wenn?
Was würde passieren, wenn von jetzt auf gleich jegliche Zertifizierung eingestellt würden? Gäbe es dann mehr Fehler in den Lieferketten? Würden Produkte und Dienstleistungen an Qualität verlieren?
Meiner Einschätzung nach würden gute Lieferanten weiterhin gute Leistungen erbringen und schlechte Lieferanten weiterhin Probleme verursachen. Gleichzeitig haben viele Unternehmen durch die Einführung eines QM-Systems systemisches Denken erlernt und wissen dieses inzwischen zu schätzen.
Auch wenn keine Zertifizierung gefordert wäre, wären Unternehmen gut beraten, die Themen der ISO 9001 in ihrem täglichen Handeln zu beherzigen. Schließlich enthält die Norm lediglich Anforderungen zu Themen, die von guten Unternehmen zwangsläufig beherzigt werden.
Fazit
Die Forderung nach einem zertifizierten QM-System ist nachvollziehbar. Jedoch kann die Praxis der jährlichen Überwachungen und Rezertifizierungen infrage gestellt werden. Gute Lieferanten werden ISO 9001 Audits mit Leichtigkeit meistern und schlechte Lieferanten werden sich jedes Jahr durch das Audit quälen, bis es bestanden ist.
Seien Sie ein guter Lieferant, indem Sie die Themen der ISO 9001 als Chance auffassen, um die Fehleranfälligkeit und Effektivität Ihrer Prozesse zu hinterfragen. Dann wird das Zertifikat wenigstens nicht mehr zum reinen Kostenfaktor. Mit guten QM-Projekten könnten auch Sie zu einem QM-Fan werden.
Stephan Joseph
www.joseph-beratung.de