Eine typische Auditsituation an: Üblicherweise wird im Rahmen von Audits nach Schulungsplänen und Nachweisen von durchgeführten Schulungen der Mitarbeiter gefragt. Seit der Normrevision von 2001 wird zudem gefragt, ob und wie die Wirksamkeit von Schulungen überprüft wird.
Was daraufhin den Auditor*innen präsentiert wird, ist oftmals ernüchternd.
Variante 1: Viele Betriebe sind bereits stolz darauf, rechtlich verpflichtende Schulungen (z.B. jährliche Sicherheitsunterweisungen, Unterweisung am ersten Arbeitstag, Ersthelfer, …) durchgeführt zu haben.
Variante 2: Es existiert ein Verfahren, nach dem Schulungsbedarf von Mitarbeitern oder Vorgesetzten gemeldet werden kann. Allerdings lagen bis zum Zeitpunkt des Audits lediglich ein oder zwei Anträge vor, obwohl es im Unternehmen 200 Mitarbeitende gibt. Wenn niemand geschult werden will, kann man halt nichts machen, oder?
Variante 3: Den Auditor*innen wir eine Qualifikationsmatrix vorgelegt, aus der hervorgeht, dass im Unternehmen für alle definierten Funktionen hinreichend viele A-qualifizierte Mitarbeitende vorhanden sind.
Und es gibt noch weitere Varianten, die den Anschein erwecken, dass die Qualifikation bzw. Kompetenz der Mitarbeitenden lediglich ein lästiges Thema im Rahmen eines ISO 9001 Audits ist. Man (oftmals QM-Beauftragte und nicht die neudeutsche HR) muss halt irgendetwas präsentieren, damit die Auditor*innen am Tag der Zertifizierung zufrieden sind.
„Schließlich haben wir ja gute Mitarbeitende“ … ist ein Satz, der in diesem Zusammenhang häufiger zu hören ist. Wenn man sich jedoch mit einigen Themen im Detail beschäftigt (z.B. Reklamationsmanagement, Blindleistungen in Prozessen, Nutzung der IT, Führungsaufgaben, QM-Methoden, …), stößt man oftmals auf Defizite, die dem Unternehmen hohe Kosten verursachen können.
An diesem Missstand tragen nicht allein die Inhaber, die Geschäftsführer oder die Vorgesetzten schuld, von deren Seite das Thema der Weiterbildung als zu teuer und zu zeitintensiv betrachtet werden könnte. Auch auf Seiten der Mitarbeitenden gibt es das Problem, dass diese eigene Schwächen ungerne offenbaren. Wer gibt denn in der heutigen Zeit gerne zu, dass man z.B. mit Windows und den Office Programmen Probleme hat. Ein Schulungsantrag könnte als Offenbarungseid für Inkompetenz angesehen werden.
Facetten der Qualifikation der Mitarbeiter*innen
Insgesamt wirft das Thema der Mitarbeiterqualifikation eine Facettenvielfalt auf, die in einem kurzen Blogeintrag nicht aufgeführt werden kann (z.B. die Angst eines Geschäftsführers, dass Mitarbeitende zu gut werden und deshalb abgeworben werden könnten). Daher möchte ich hier nur wenige, pragmatische Denkanstöße geben:
- Kennzahlvorschlag: Wie hoch sind die durchschnittlichen Weiterbildungskosten pro Kopf (Summe Weiterbildungskosten pro Jahr / Anzahl Mitarbeiter)?
- Wie schwierig ist es aktuell, gute Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden?
- Wie lange brauchen neue Mitarbeitende, bis sie effektiv und effizient Stellenprofile ausfüllen können?
- Wie viel Geld wird verbrannt (Reklamation, Blindleistung, Redundanz, Datenverlust, Mangelhafte Pflege von Stamm- und Bewegungsdaten, …), weil die Mitarbeitende nicht hinreichend qualifiziert sind?
- Wer hinterfragt den Erfolg von Qualifizierungsmaßnahmen und wen interessieren die Ergebnisse (hoffentlich nicht nur Zertifizierungsauditor*innen)?
- Was müsste sich an Ihrer Unternehmenskultur ändern, damit das Thema Weiterbildung von allen Seiten als ein positives und notwendiges Hilfsmittel angesehen wird?
- Können Leiharbeiter tatsächlich festangestelltes Personal adäquat ersetzen?
- Wie viele kompetente Mitarbeitende schlüpfen bei Ihnen in die Trainerrolle, um betriebsinterne Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen (interne Schulungen, internes Coaching, Patenkonzepte, Workshopmoderation, …)?
- Welchen Ruf genießt Ihr Unternehmen zum Thema Personalentwicklung (Talentschmiede, Karrieresprungbrett, Ausbeuter, …)?
- Wie gut kennen Ihre Mitarbeitenden ihre Produkte, ihre Kunden, ihre Lieferanten und den Markt?
- Wie viele Ihrer Schulungen beziehen sich thematisch auf aktuelle oder künftige Kundenanforderungen?
Hat man sich einmal in die Thema Kompetenz, Wissen, Motivation, Personalentwicklung und Recruiting eingearbeitet, fallen einem viele weitere spannende Fragen ein.
Kleiner Hinweis zum Schluss an Vorgesetzte: Wenn auch (hoffentlich) nur scherzhaft gemeint, vermeiden Sie nach einer absolvierten Schulung gegenüber den Teilnehmenden Sprüche wie „Na, schöne Ferien gehabt?“, „Vergiss die Theorie, jetzt kommt die Praxis“, „Veränderungsideen nach Schulungen sind ganz schlecht“ oder ähnliche Aussagen. Diese werden Ihre Mitarbeitenden kaum ermutigen, das Erlernte anzuwenden oder gar weiterzuvermitteln.
Anmerkung: Dieser Artikel ist in der Ausgabe Juni 2013 der Industrial Quality erschienen.