Paralleluniversum zum QM-System entdeckt
Was nach Science-Fiction klingt, ist bei zertifizierten Managementsystemen an der Tagesordnung. Mitarbeiter kommen täglich in die Organisation und erledigen, was erledigt werden muss. Dieses System nennen wir das Reale-Arbeits-System, kurz RA-System.
Parallel dazu existieren in einem QM-Dokumentationskomplex Verfahren und Anweisungen, nach denen diese Mitarbeiter agieren sollten, kurz QM-System. Ferner enthält dieses QM-System Beschreibungen von Kennzahlen und Analysemethoden.
Um zu prüfen, wie weit sich das QM-System vom RA-System entfernt hat, werden oftmals die sogenannten Prozessverantwortlichen (ein Begriff aus dem QM-System; im RA-System nennen sie sich Abteilungsleiter)jährlich aufgefordert, die Verfahren und Anweisungen auf Aktualität zu prüfen. Die Aufforderung kommt aus dem Paralleluniversum von einem QMB (= Quälgeist muss betteln), weshalb sie im RA-System kaum wahrgenommen wird. Die Kommunikation zwischen den beiden Systemen erfolgt scheinbar durch ein schwarzes Loch, durch dessen dichte Masse relevante Informationen zerquetscht werden und niemals den Empfänger erreichen.
Ein ganzes Jahr lang können diese beiden Systeme in friedlicher Koexistenz tun und lassen, was der Chef vom RA-System will. Doch regelmäßig tritt das Naturphänomen des Zertifizierungsaudits auf. Hierbei werden von externen Auditoren (Wesen aus weit entfernten Welten) im RA-System Fragen zum QM-System gestellt. Das führt oft dazu, dass anstelle der befragten Abteilungsleitung der QMB (= Qualitäter murmelt Bedeutsames) für die korrekte Beantwortung einspringt. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Normschreiber des technischen Komitees TC176 (ein ISO-lierter Planet am Rande aller Systeme)keine QMBs (= Quatscht meist Blödsinn) mehr als Herrscher des QM-Systems fordern.
Ein paralleles System aufzubauen, welches der Inquisition (Zertifizierung) standhält, ist extrem aufwendig und absolut überflüssig. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es schon ein RA-System gibt.
Wäre es nicht schön, wenn QMBs (= Qualitätsmenschen mit Brain) daran arbeiten würden, das RA-System zu optimieren und gegen böse Attacken von Externen abzusichern. Das setzt voraus, dass Änderungen am RA-System erwünscht sind und gemeinschaftlich getragen werden. Zudem muss der QMB (= Querdenker macht Beratung) in der Sprache der Mitarbeiter des RA-Systems kommunizieren. Schwarze Löcher in Form von unverständlichen Begriffen (zum Beispiel „Qualitätspolitik“, „Lenkung dokumentierter Informationen“ oder„Ressourcen zur Überwachung“) müssen in RA-System taugliche Bezeichnungen übersetzt werden (zum Beispiel „Unser Leitbild“, „Aktualisierung von Dokumenten“ oder „Messmittel“).
Auch die Bewertungsgrundlage zum Erfolg des RA-Systems(Geschäftsentwicklung, Umsatz, Gewinn, Variable Kosten, beobachtete Trends …)sollten mit den Zielen des QM-Systems im Einklang stehen. Zum Thema Kennzahlen ist oftmals eine große Diskrepanz zwischen den Systemen zu finden. Nicht selten werden monatlich Berichte aus dem RA-System an das QM-System gemeldet, damit der QMB (= Quittiert meine Belege) an den Chef des RA-Systems berichtet. Scheinbar haben manche QMBs (= Querulant möchte Befugnis) noch nicht mitbekommen, dass im RA-System bereits über Kennzahlen kommuniziert wird.
Als Reisender zwischen den Systemen (Berater) stelle ich immer wieder fest, dass zu viel Energie in den Aufbau und Erhalt von Paralleluniversen gesteckt wird. Stattdessen sollten die Systeme RA und QM (und Umwelt, Energie, Arbeits- und Gesundheitsschutz) in Einklang gebracht werden, um in einem einzigen Managementsystem zu leben und dieses sukzessive zu verbessern.
Dieser Artikel ist ursprünglich als Kolumne der Industrial Quality 08/2017 erschienen.
Im Juli 2023 habe ich den Artikel für den Newsletter leicht überarbeitet.