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Nur Sinnvolles wird von Herzen unterstützt
In den sozialen Netzen und in Fachartikeln geht der Ruf nach Sinnhaftigkeit auch nicht an QM-Systemen vorbei. Beiträge wie „QM neu denken“ oder „QM-Systeme Mitarbeiter:innen mit sinnvollem Nutzen“ unterstreichen das.
Wenn sich lediglich Auditor:innen für das QM-System interessieren, dann steht die Sinnfrage außer Frage.
Mögliche Ursachen für den Unsinn
Wirft man einen Blick auf die Ursachen für sinnbefreite Managementsysteme, ergeben sich sofort durch Umkehrung positive Ansätze zur Verbesserung:
Fokus auf den Zertifikatserhalt: Würde man eine ehrliche Antwort auf die Frage: „Warum führen Sie ein QM-System nach ISO 9001“ erhalten, dann würde diese lauten: „Unsere Kunden fordern das Zertifikat.“ Das ist nicht schlecht oder falsch. Nur wenn man Zeit, personelle Ressourcen und Geld in ein ISO 9001 Projekt steckt, dann sollte diese Investition nicht in einer verdammt teuren Urkunde enden.
Teils mangelhaft ausgebildete Zertifizierungsauditor:innen: Immer noch fordern einige Auditor:innen Dokumente ein, die von der ISO 9001 nicht gefordert werden und größtenteils noch nie gefordert wurden. Andere Auditor:innen sind so sehr auf die formellen Aspekte von Dokumenten fixiert (Datum, Freigabe, Version …), sodass der Eindruck entsteht, dass im Dokument der Text von „Alle meine Entchen“ stehen könnte, ohne aufzufallen.
Deutsche Mentalität: Zumindest gewinnt man in Deutschland immer wieder den Eindruck, dass wir die einzige Nation sind, die es mit Anforderungen und Nachweisen übertreibt. Scheinbar scheuen wir das Augenmaß und lassen wenig Platz für risikobasierte Entscheidungen. Diese Angst geprägte Überregulierung spiegelt sich auch in QM-Systemen wider.
Selbsterhalt: Es mag QM-Beauftragte oder Beratungsunternehmen geben, die wenig Interesse an einem verständlichen und kollaborativen QM-System haben. Hierbei liegt das Interesse auf Daseinsberechtigung, Job- oder Auftragserhalt. Zudem wird man nach erfolgreichen Audits so nett von der Geschäftsführung gelobt.
Copy & Paste: Es erfordert Zeit und Anstrengung, die Anforderungen der ISO 9001 zu verstehen, zu reflektieren, inwieweit man diese bereits erfüllt und bei Bedarf nach maßgeschneiderten Lösungen zu suchen. Da ist es viel einfacher, Vorlagen und Ideen aus vorhandenen Handbüchern oder Mustervorlagen 1:1 zu übernehmen.
Keine Zeit: Alle Mitarbeiter:innen versinken im Tagesgeschäft. Wer hat da noch Zeit, Prozesse zu hinterfragen und nach Verbesserungen zu suchen. Ganz zu schweigen von KVP-Workshops oder QM-Schulungen. Wir haben keine Zeit einen Zaun zu bauen, da wir Hühner fangen müssen.
Das dürften die häufigsten Gründe sein. Die Gegenmaßnahmen stecken bereits in den einzelnen Begründungen. Dennoch ist es ratsam einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen, wozu ein QM-System nach ISO 9001 nützlich sein kann.
Sinn der ISO 9001
Ursprünglich wurden nationale Standards (z.B. DIN) und internationale Standards (z.B. ISO) geschaffen, um das wirtschaftliche Miteinander zu vereinfachen. So soll ein ISO 9001 die Lieferantenauswahl vereinfachen, indem grundlegende Unternehmenstugenden zur Sicherstellung der Qualität durch Zertifizierungsauditor:innen hinterfragt wurden. Entsprechend sollten Abweichungen oder Hinweise (Verbesserungsvorschläge) dieses Vertrauen rechtfertigen. Unternehmen dürfen daher mit Zertifizierungsauditor:innen über die Angemessenheit diskutieren und ihre internen Festlegungen verteidigen. Wenn die Auditor:innen bessere Argumente haben, dann lernen wir und verbessern unser System.
Bei Maßnahmen zur Erfüllung von Normanforderungen sollte stets hinterfragt werden, ob diese in gesunder Relation zum Risikopotenzial (potenzielle Auswirkungen und Eintretenswahrscheinlichkeit) stehen. Eine dokumentierte Freigabe für ein Flugzeugbauteil oder für ein Medizinprodukt wird wahrscheinlich detailreicher ausfallen, als die Freigabe für eine interne Vertriebscheckliste. Unterschiedliche Freigabesystematiken und Akribie innerhalb eines Systems sind somit zulässig. Das Zauberwort lautet „risikobasierter Ansatz“. Bei höheren Risiken werden wir akribischer und bei geringen Risiken lassen akzeptieren wir Abweichungen zum Standard. Hierdurch entsteht eventuell eine neue Herausforderung, da Mitarbeiter:innen wissen müssen, wann sie es mit einer Leitlinie und wann mit einer unverrückbaren Vorgabe zu tun haben. Jedoch gibt es auch hierfür gute Lösungen.
Den größten Nutzen ziehen Unternehmen aus der ISO 9001, indem sie sich zu den Thermen der Norm ehrlich und selbstkritisch reflektieren. Die Normanforderungen sind überwiegend gut ausgewählt und lassen den Unternehmen Freiraum, um sinnvolle Methoden zur Umsetzung festzulegen.
Die externe Bestätigung durch ein Zertifizierungsaudit und das Zertifikat sollte nur Beifang sein.
Mut für sinnvolle QM-Systeme
Es erfordert manchmal Mut neue Wege zu gehen und im Audit zu verteidigen. Zudem hilft eine solide Normkenntnis bei den QM-Beauftragten. Sich Aussagen von Auditor:innen, Trainer:innen und Berater:innen zu verlassen, ist keine gute Idee. Auch wenn sich die ISO 9001 nicht angenehm lesen lässt, tun QM-Beauftragte immer wieder mal gut daran, einzelne Passagen zu lesen und die eigene Umsetzung zu hinterfragen.
Passende Festlegungen von gestern können heute überholt sein. Insbesondere, wenn man sich gestern für eine bestimmte Festlegung starkgemacht hat, kann es Mut erfordern, heute etwas anderes zu propagieren.
Veränderungen im Allgemeinen stoßen auf Widerstände, weshalb zu allen Changeprozessen auch eine Portion Mut benötigt wird. Der 3. Paragraf des kölschen Grundgesetzes „Et hätt noch emmer joot jejange“ gilt wahrscheinlich nicht nur in Köln. Es ist doch so einfach und gemütlich an Bestehendem festzuhalten.
Ein Beispiel
Es kann Mut erfordern, alle Verfahrensanweisungen zu vernichten, obwohl nachweislich keiner damit arbeitet und sich niemand an regelwidrigem Verhalten stört. Lediglich Zertifizierungsauditor:innen fragen nach Verfahrensanweisungen. Ein Blick in die ISO 9001 offenbart, dass an keiner Stelle eine Beschreibung von Arbeitsabläufen gefordert wird.
Jetzt heißt es: Gehirn einschalten. Entweder sind die vorhandenen Verfahrensanweisungen unpassend (komplex, lang, unschön, unverständlich …) oder unnötig (ohne Mehrwert). Wenn zweiteres zutrifft, dann sollte man den Mut haben, diese Dokumente in den Papierkorb zu befördern.
Was übrig bleibt, sind hilfreiche Leitfäden, Checklisten, Anleitungen, erfasste Daten oder Protokolle, die den Mitarbeiter:innen nutzen. Was übrig bleibt, ist ein sinnvolles QM-System, welches die Kolleg:innen nicht mehr missen möchten.
Dieser Artikel ist als QM-Impuls in meinem monatlichen LinkedIn Newsletter erschienen.
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