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Lieferantenbewertung nach ISO 9001
Teils seltsame Zustände
Eine gute Lieferantenbewertung nach ISO 9001 sichert das Wissen von Einzelpersonen, schafft Fakten und lässt im Idealfall Handlungsbedarf frühzeitig erkennen. Warum müssen zahlreiche QM-Beauftrage ihren Einkauf kurz vor dem Audit immer wieder an die Lieferantenbewertung erinnern?
Zum besseren Verständnis werfen wir einen Blick auf die Normanforderungen und mögliche Kriterien zur Bewertung, um abschließend auf typische Hindernisse einzugehen.
Anforderungen der ISO 9001
Die Norm ist in Abschnitt 8.4 „Externe Anbieter“ kompliziert formuliert. Hier der Versuch, die Kernanforderungen in einfachen Sätzen wiederzugeben:
- Leistungen von Lieferanten sicherstellen: Organisationen sollen sicherstellen, dass Lieferanten (externe Anbieter für Prozesse, Produkte und Dienstleistungen) den Anforderungen entsprechen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Lieferanten die Organisation selbst oder den Kunden direkt beliefern.
- Kriterien festlegen und Bewertungen dokumentieren: Zur Bewertung von Lieferanten (Auswahl, Erstbewertung und fortlaufende Bewertungen) müssen Kriterien festgelegt werden. Die durchgeführten Bewertungen müssen dokumentiert werden.
- Qualitätsrisiko berücksichtigen: Insgesamt muss der Umgang mit Lieferanten dem Qualitätsrisiko entsprechen.
Kriterien zur Lieferantenbewertung
Die ISO 9001 gibt keine Bewertungskriterien für Lieferanten vor. Es ist auch nicht gefordert, dass alle Lieferanten anhand der gleichen Kriterien zu bewerten seien.
So lassen sich Einzelfertigung, Kleinserien und Großserien kaum vergleichen. Dennoch schaffen es OEMs immer wieder ppm-Bewertung (Fehler pro eine Million gelieferte Teile) für Einzelfertigungen zu erstellen.
Zudem ist die Beschaffung von Entwicklungsleistungen oder Sonderlösungen nicht mit Standardprodukten zu vergleichen. Auch das Preissegment bzw. die Investitionsbereitschaft sollte fairerweise berücksichtigt werden. Hinzu kommen unterschiedlichste Formen von Dienstleistungen.
Bei der Bewertung von Lieferanten sind subjektive Kriterien genauso zulässig wie Kennzahlen oder gemachte Erfahrungen.
Typische Kriterien zur Lieferantenbewertung nach ISO 9001
- Qualität der gelieferten Produkte oder Dienstleistungen: Dies umfasst Aspekte wie Konformität mit den Spezifikationen, Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, Haltbarkeit und Sicherheit.
- Lieferzuverlässigkeit und -zeit: Bewertung der Liefertermintreue, Pünktlichkeit und Flexibilität bei Änderungen der Lieferanforderungen.
- Preisgestaltung und Kosten: Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit der Preise im Vergleich zu anderen Anbietern sowie Transparenz und Fairness in der Preisgestaltung.
- Kundenservice und Kommunikation: Bewertung der Reaktionsfähigkeit des Lieferanten auf Anfragen, Probleme und Beschwerden sowie die Qualität der Kommunikation und Zusammenarbeit.
- Technische Kompetenz und Innovation: Bewertung der Fähigkeit des Lieferanten, technische Probleme zu lösen, neue Technologien einzusetzen und innovative Lösungen anzubieten.
- Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung: Bewertung der Umweltauswirkungen der Lieferantenaktivitäten, ihrer sozialen Verantwortung und ihres Engagements für nachhaltige Geschäftspraktiken.
Wert von Zertifikaten
Oftmals werden von Lieferanten Zertifikate als Nachweis angefordert (ISO 9001, ISO 14001 etc.). Die ursprüngliche Intention von Managementsystemzertifizierungen war, dass sich Kunden auf zertifizierte Themen (Qualität, Umwelt etc.) verlassen können. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass dies nicht immer einfach ist.
Kunden haben einen anderen Blick auf Lieferanten als Zertifizierungsauditoren!
Einen Kunden interessiert es herzlich wenig, welchen Revisionsstand das Organigramm hat oder ob die Zertifizierungsgesellschaft als interessierte Partei betrachtet wird. Durch zunehmende und bürokratische Anforderungen der DAkkS entfernen sich Zertifizierungsaudits immer weiter vom ursprünglichen Ziel.
Der Wert von Zertifizierungsaudits und Zertifikaten ist ein eigenes Thema. Tatsächlich sagen Zertifikate sehr wenig über die Qualität eines Lieferanten aus, weshalb meine Kunden i.d.R. nicht nachhalten, ob deren Lieferanten zertifiziert sind.
Praxistipp zur Lieferantenbewertung
Ein Fehler, den ich bei QMBs und Beratern immer wieder sehe ist, dass dem Einkauf formelle Methoden vorgegeben werden. Die bessere Lösung besteht darin, den Einkauf erst einmal zu fragen, auf welcher Basis aktuell Lieferanten ausgesucht und bewertet werden. Darauf aufbauend sollte gemeinsam diskutiert werden, ob die aktuelle Vorgehensweise ausreicht oder ob und wie weitere Bewertungskriterien von Vorteil sein könnten.
Hilfreiche Leitfragen für einen Workshop zur Lieferantenbewertung:
- Welche Kriterien wenden wir bereits an? Werden diese dokumentiert?
- Welche Kriterien wären wünschenswert?
- Passen der Aufwand zur Bewertung und der Nutzen für Folgerisiken zueinander?
- Wie gut kennen wir unsere Lieferanten, wenn zuständige Ansprechpartner ausfallen?
- Sind die Informationen aus der Bewertung im Tagesgeschäft greifbar? Erkenne ich z.B. bei Anfragen oder Bestellungen, dass es mit diesem Lieferanten in der Vergangenheit Probleme gab?
- Welche Informationen lassen sich als „Abfallprodukt“ aus vorhandenen Datenbanken ziehen? Wie aussagekräftig und zuverlässig sind diese Daten?
- Werden Lieferantenbewertungen als nützliches Werkzeug anerkannt oder als Pflichtaufgabe vor dem nächsten Kunden- oder Zertifizierungsaudit durchgeführt?