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Klimawandel im Zertifizierungsaudit
Es könnte so einfach sein. Aber beim Thema Klimawandel liegen Normanforderung und Auditerfahrungen teilweise weit auseinander. In Ausgabe 17 hatte ich bereits die Anforderungen erläutert, und in der Podcast-Episode Nr. 77 der QM-Impulse spreche ich mit dem erfahrenen QMB und Zertifizierungsauditor Jan Jörgensmann über die Ergänzungen.
In dieser Ausgabe liegt der Fokus auf den erlebten Folgewirkungen in Zertifizierungsaudits.
Die eigentliche Anforderung
Es begann mit einer politischen Entscheidung der ISO aus dem Jahr 2021, die Existenz des Klimawandels anzuerkennen und dem Versprechen, sich entsprechend zu positionieren. Im Kontext von Managementsystemen wurde hierzu die High-Level-Structure (genauer gesagt Anhang 2 des Annex SL im ISO/IEC Directives Part 1 Consolidated ISO Supplement) um ganze zwei Sätze ergänzt: nämlich eine konkrete Anforderung und eine erläuternde Anmerkung.
Normalerweise würden solche Änderungen erst mit der nächsten Revision einer Norm als neue Anforderung einfließen. Alternativ kann jedoch ein Amendment (Deutsch: Änderung) erstellt werden, wodurch diese Ergänzung sofort gültig wird. So wurde z.B. die ISO 9001 mit einem Amendment im Februar 2024 aktualisiert.
Hier noch einmal die beiden Textergänzungen:
4.1 „Die Organisation muss bestimmen, ob der Klimawandel ein relevantes Thema ist.“
4.2 „ANMERKUNG: Relevante interessierte Kreise können Anforderungen in Bezug auf den Klimawandel haben.“
⚠️ ACHTUNG: Es geht nicht um die Auswirkungen der Organisation auf den Klimawandel, sondern um Auswirkungen des Klimawandels auf die Organisation! Zudem sind diese Anforderungen in einem Normabschnitt verankert, in dem keine dokumentierten Informationen verlangt werden.
Drei normkonforme Beispiele
- Ein Stahlhändler mit 10 Mitarbeiter:innen stellt in einem Meeting fest, dass der Klimawandel keinen Einfluss auf gelieferte Ware oder interne Prozesse hat. Es liegen auch keine neuen Anforderungen interessierter Parteien vor. Das Ergebnis: kein Handlungsbedarf, kein Dokumentationsbedarf.
- Ein Hersteller stellt fest, dass die Ware im Lager an heißen Sommertagen gekühlt werden sollte und installiert eine Klimaanlage. Das ist nicht klimafreundlich, jedoch wird das Risiko des Qualitätsverlusts der Ware vermieden. Auditor:innen können sich die neue Klimaanlage ansehen, daher besteht kein weiterer Dokumentationsbedarf.
- Kunden oder Lieferanten (interessierte Parteien) einer Firma suchen nach Möglichkeiten für nachhaltigere Verpackungen. Die Firma arbeitet mit, man findet pfiffige Lösungen und setzt diese mit den Geschäftspartnern um. Auch in diesem Fall gibt die ISO 9001 nicht vor, diese Reaktion auf den Klimawandel zu dokumentieren. Schließlich können sich Auditor:innen die neuen Verpackungen ansehen.
Aber es kam, was kommen musste
In den Zertifizierungsaudits 2024 haben Kunden von mir zwei Varianten erlebt:
- Im ISO 9001 Audit wurde gefragt, was man gegen den Klimawandel tut. Da gäbe es ja diese Änderung der Norm. Hierzu fällt mir nichts mehr ein. Liebe Auditor:innen: Lest die verdammte Norm!
- Es wurde verlangt, die Analyseergebnisse zum Klimawandel als dokumentierte Information bereitzustellen. Das entbehrt jeder Normgrundlage! Gute Auditor:innen konnten immerhin erklären, dass sie selbst nicht auf die Dokumentation zum Thema Klimawandel bestehen, jedoch die Reviewer der Zertifizierungsstelle sonst Stress machen würden. Wenn diese Zertifizierungsstelle auch noch unter aktuellen DAkkS-Vorgaben leidet … was wiederum ein ganz eigenes Thema ist.
Was nun? Was tun?
Eigentlich sollte man ja nichts für die Norm tun, sondern die Themen der Norm anwenden. Deshalb hat man einen „Anwendungsbereich“ als dokumentierte Information festgelegt.
Bei meinen Kunden habe ich mir angewöhnt, zum Beispiel im Rahmen der Managementbewertung zu verschriftlichen, dass das Thema Klimawandel reflektiert wurde und welche Maßnahmen daraus resultieren (Sonnenschutz, Kaltgetränke, Hochwasserschutz, wiederverwendbare Verpackung, Klimatisierung …). Diese Sätze sind schneller geschrieben, als dass man einigen Auditor:innen, den Zertifizierungsstellen oder gar der DAkkS die eigentlichen Normanforderungen erklärt.
Was für die ISO 9001 und die Auswirkungen auf die Qualität gilt, kann man 1:1 auf die anderen Managementsystemnormen übersetzen:
ISO 45001: Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Arbeitssicherheit aus?
ISO 27001: Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Informationssicherheit aus?
ISO 50001: Wie wirkt sich der Klimawandel auf das Energiemanagement aus?
Und sogar in der Umweltnorm ISO 14001 liefert die Frage zu den Auswirkungen des Klimawandels auf das Umweltmanagementsystem einen zusätzlichen Perspektivwechsel.
Fazit
Ich finde die Ergänzungen der ISO wirklich sinnvoll, da es immer noch Leugner des Klimawandels gibt. In Organisationen und auch in Zertifizierungsaudits kann ich mir wertvolle Diskussionen zu den Auswirkungen des Klimawandels vorstellen.
Mich ärgert jedoch der von Zertifizierungsstellen geforderte Formalismus, welcher jeglicher Normgrundlage entehrt. Letztlich versucht man mit ein wenig Text, den Zertifizierungsauditor:innen das Leben leichter zu machen. Jedoch sollte ein QM-System dem Unternehmen dienen und nicht den Auditor:innen.