Georg Dlugosch, Chefredakteur des Fachmagazins „Industrial Quality“ (IQ), führte mit mir im Rahmen der Ausgabe 02/2018 das folgende Interview:
Redaktion IQ: Herr Joseph, was erwartet die Leser in Ihrem Buch „Wieso ISO? – Über den Sinn und Unsinn bei Zertifizierungen nach ISO 9001 und co.“?
Stephan Joseph: Stellt man sich als Berater für Qualitätsmanagementsysteme vor, triff man selten auf Gegenliebe zum Thema ISO 9001. Wenn man ein wenig nachhakt, erhält man in der Regel völlig falsche Annahmen darüber, was dieser Standard von Unternehmen fordert. Daher skizziere ich im ersten Teil meines Buchs, warum die Zertifizierung nach ISO 9001 überwiegend einen schlechten Ruf genießt. Der zweite Teil erinnert an den ursprünglichen Sinn von Managementsystemen und im letzten Teil werden ausgewählte Themen der Norm etwas genauer skizziert.
Redaktion IQ: An wen richtet sich dieses Buch?
Stephan Joseph: Einerseits ist das Buch eine Schatztruhe für erfahrene QM-Beauftragte. Auf der anderen Seite habe ich bewusst einen Stil gewählt, der auch QM-Laien anspricht. Ich könnte mir vorstellen, dass zum Beispiel Geschäftsführungen ein besseres Verständnis zum Thema erhalten oder Führungskräfte verstehen, was sie mit QM zu tun haben. Das Buch setzt keinerlei Normkenntnis oder QM-Erfahrung voraus.
Redaktion IQ: Es ist jedoch keine Anleitung zur Einführung eines QM-Systems.
Stephan Joseph: Da jede Organisation anders ist, können konkrete Hinweise zur Umsetzung einzelner Anforderungen irreführend sein. Zwar enthält das Buch auch zahlreiche Praxistipps, jedoch liegt der Schwerpunkt auf der allgemeinen Aufklärung zu den Anforderungen der Norm. So können Unternehmen für sich passende und sinnvolle Lösungen eigenständig erarbeiten.
Redaktion IQ: Beim Lesen habe mir die Negativbeispiele gefallen.
Stephan Joseph: Beim Schreiben erging es mir ähnlich (lacht). Unsinnige Ansätze können einem die Augen öffnen. Einige Unternehmen können sich sicherlich in den Beispielen wiederfinden. Viele Dinge werden in Unternehmen als normrelevant eingestuft, obwohl sie lediglich auf die Vorstellung von Beratern, Ideen der QMBs oder auf Hinweise von Auditoren zurückzuführen sind. Über Jahre hinweg werden unsinnige Aktivitäten zum Selbstverständnis.
Redaktion IQ: Aktuell dreht sich viel um das Thema „Risiken und Chancen“. Warum ist das Kapitel zu diesem Thema bei Ihnen so kurz?
Stephan Joseph: Das kann man anders sehen. Es gibt ein kurzes Kapitel, welches den Sinn hinter den Anforderungen zu Risken und Chancen erklärt. Gleichzeitig geht es im gesamten QM-System und somit auch im gesamten Buch um das risikobasierte Denken. Die ISO 9001 fordert kein formelles System für ein Risikomanagement. Aus dem PDCA-Zyklus, dem gelebten QM-System an sich, ergeben sich Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen. Die Norm lädt lediglich seit 2015 dazu ein, neben den Kundenanforderungen und rechtlichen Anforderungen, weitere externe und interne Themen zu identifizieren, die Einfluss auf das QM-System haben könnten.
Redaktion IQ: Wenn der Chef eines nicht zertifizierten Unternehmens Sie fragt: „Wieso ISO?“, was wäre Ihre Antwort?
Stephan Joseph: Jedes Unternehmen hat Spieregeln des Miteinanders. Teils sind diese Regeln dokumentiert und teilweise nicht. Wäre es nicht hilfreich, die Angemessenheit und Sinnhaftigkeit dieser Regeln zu hinterfragen? Macht es nicht Sinn, immer wieder mal, neben dem Tagesgeschäft, nach Verbesserungen in den Abläufen zu suchen? Gute Unternehmen machen dies ohnehin und leben somit ein Qualitätsmanagementsystem.
Redaktion IQ: Und was ist mit den Anforderungen der ISO 9001?
Stephan Joseph: Bei der Erstellung der ISO 9001 haben sich Menschen auf ein Mindestmaß an Themen geeinigt, zu denen sich „gute Unternehmen“ Gedanken machen. Da ist es ggf. wertvoll zu reflektieren, wie gut diese Themen aktuell in der eigenen Organisation umgesetzt werden. Mit ein wenig Ehrlichkeit finden Unternehmen hierbei Ideen zur Verbesserung der eigenen Abläufe.
Redaktion IQ: Können Sie denn nachvollziehen, warum die Wahrnehmung in der Praxis anders ist?
Stephan Joseph: Ja! Am Anfang meines Buches erläutere ich viele Einflüsse, welche das Themen „Zertifizierung nach ISO 9001“ in ein schlechtes Licht rücken. Beispielsweise ist es wenig hilfreich, wenn Berater ihren Kunden ein Musterhandbuch überstülpen und behaupten, dass die Verfahren so für eine Zertifizierung umzusetzen seien. Genauso wenig hilfreich sind Dokumente, welche von Nicht-QM-Experten kaum zu verstehen sind. Wenn dann noch Auditoren nach der Nadel im Heuhaufen suchen, sorgt eine Zertifizierung für wenig Euphorie.
Redaktion IQ: Was würden Sie sich im Zusammenhang mit Zertifizierungen nach ISO 9001 wünschen?
Stephan Joseph: Auf Seite der Unternehmen wünsche ich mir die Abschaffung der Parallelsysteme. Das QM-System sollte die tatsächlich gelebten Prozesse unterstützen und nicht nur als Dokumentation für das Audit dienen. Auf Seite der Auditoren wünsche ich mir manchmal mehr Angemessenheit in der Interpretation von Normanforderungen. Wenn nach ISO 9001 beispielsweise etwas festzulegen ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass etwas zu dokumentieren ist. Der Auditbergriff stammt schließlich vom lateinischen „audire“ ab, weshalb gute Auditoren durch geschicktes Fragen feststellen können, ob Themen in einer Organisation auch ohne dokumentierte Informationen hinreichend gut umgesetzt werden.
Ich bedanke mich bei Herr Dlugosch für das angenehme Gespräch. Werden auch Sie Fan des unabhängigen Fachmagazins auf www.industrial-quality.de.
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