Inhaltsverzeichnis
Was ist passiert?
Die HLS – High-Level-Structure erfährt nach 10 Jahren eine erste Änderung. Fast alle aktuellen Managementsystemnormen (ISO 9001, ISO 14001 …) setzen auf der Struktur und den vorgegebenen Text der HLS auf.
Bereits 2021 gab die ISO in London eine Erklärung ab, in der die Notwendigkeit zur Berücksichtigung des Klimawandels erkannt wurde. Im Kontext der Managementsysteme betrifft das den Umgang mit möglichen Auswirkungen des Umweltwandels, um die beabsichtigten Ergebnisse des Managementsystems zu erreichen.
Am 23.02.2024 wurde die Änderungen in die harmonisierten Struktur aufgenommen (Anhang 2 des Annex SL im ISO/IEC Directives Part 1 Consolidated ISO Supplement). Somit steht bereits jetzt eine verbindliche Änderung in der kommenden ISO 9001:2025 fest. Im weiteren Artikel betrachte ich die Auswirkungen auf die ISO 9001:2025. Die Anforderungen aus der HLS gelten jedoch für kommende Änderungen aller ISO-Managementsystemnormen.
Zwei neue Sätze in der High-Level-Structure
Am 16. Juni 2023 wurden zwei Textergänzungen eingebracht, welche mit der Veröffentlichung im Februar 2024 wirksam sind:
Ergänzung 1 – Kontext der Organisation
Nach Normanforderung im Abschnitt 4.1 „Verstehen der Organisation und ihres Kontextes“ müssen Organisationen externe und interne Themen bestimmen und überwachen, welche sich auf die Erreichung der Qualitätsziele auswirken. In Anmerkungen (keine Anforderungen) wurden mögliche interne und externe Themen aufgezählt.
In kommenden Normen wurde folgender Passus als Anforderung unter 4.1 ergänzt:
„Die Organisation muss bestimmen, ob der Klimawandel ein relevantes Thema ist.“
(Frei übersetzt aus einer englischen Erklärung des IAF und der ISO. Originaltext: „The organization shall determine whether climate change is a relevant issue.”)
Ergänzung 2 – Interessierte Parteien
Im Abschnitt 4.2 „Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien“ wurde lediglich eine Anmerkung ergänzt:
„ANMERKUNG:
Relevante interessierte Kreise können Anforderungen in Bezug auf den Klimawandel haben.“
(Frei übersetzt aus einer englischen Erklärung des IAF und der ISO. Originaltext: „NOTE: Relevant interested parties can have requirements related to climate change.”)
Anders als bei der Ergänzung zum Kontext der Organisation (4.1), handelt es sich bei den interessierten Parteien (4.2) lediglich um eine Anmerkung. Organisationen werden hierdurch „eingeladen“ sich mit damit auseinanderzusetzen.
Wichtige Abgrenzung zu Energie- und Umweltmanagementsystemen
Es geht nicht um die Auswirkungen der Organisation auf den Klimawandel, sondern um Auswirkungen des Klimawandels auf die Organisation!
Bei der Ermittlung von Chancen und Risiken zu internen und externen Themen ist demnach zu bewerten, ob sich der Klimawandel auf das zu zertifizierende Thema (Qualität bei der ISO 9001) auswirkt. So könnte zum Beispiel erkannt werden, dass durch höhere Temperaturen im Sommer eine Klimatisierung von Hallen, Büroräumen oder Lagerbereichen erforderlich ist, was sich wiederum negativ auf das Klima auswirken kann.
Auch den Bedürfnissen interessierter Parteien sollte der Fokus auf dem zertifizierten Thema bleiben. So ist beispielsweise eine Behörde mit Umweltauflagen sicherlich eine interessierte Partei, jedoch könnte man in einem ISO 9001 Audit feststellen, dass die Erfüllung dieser Auflage keine Auswirkungen auf die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen hat. Mit Blick auf den Fachkräftemangel könnten hingegen die Anforderung der interessierten Partei „Mitarbeiter:innen“ die Klimafreundlichkeit des Arbeitgebers betreffen. Hier dürfen sich Organisationen eingeladen fühlen, über das Thema nachzudenken, um für neues Personal als Arbeitgeber attraktiv zu sein.
Zweck der Änderung
Diese Ergänzungen in jeder Managementsystemnorm sollen erreichen, dass das wichtige Thema des Klimawandels nicht übersehen wird, sondern von allen Organisationen bei der Gestaltung und Umsetzung des Managementsystems berücksichtigt wird.
Es ist nicht die Absicht der Änderungen, dass beispielsweise in einem ISO 9001 Audit der Klimawandel unverhältnismäßig stark in den Fokus rückt. IAF und ISO möchten lediglich dafür sensibilisieren, dass der Klimawandel ein wichtiges Thema ist, welches in andere Themen (Qualität, Umwelt, Arbeitssicherheit, Informationssicherheit …) ausstrahlt.
Was ist zu tun?
Da sich der Klimawandel sehr unterschiedlich auf die Wirksamkeit von Managementsystemen auswirken kann, werden die zu bestimmenden Themen im Qualitätsmanagement andere sein als zum Beispiel in einem Informationssicherheitsmanagementsystem. Zudem werden sich Umfang und Relevanz aus der Tätigkeit einer Organisation ergeben (Landwirtschaft, Maschinenbau, Dienstleistung …).
Gute aufgestellt Organisationen werden den Klimawandel im Rahmen der Kontextbetrachtung bereits berücksichtigt haben. Hier ein paar Beispielthemen:
- Produkt- und Verpackungsdesign
- Rohstoffauswahl und Herkunftsländer
- Transportarten und Transportwege
- Auswahl von Energiequellen
- Nutzung von Abfällen
- Schutz vor Wetterereignissen (Starkregen, Hochwasser …)
- Klimatisierung von Hallen und Büroräumen
- Angebote für Mitarbeiter:innen (z.B. Sonnenschutz im Baugewerbe, E-Bikes …)
Ab wann gilt die Änderung?
Im Normalfall gelten Änderungen der HLS erst mit dem nächsten Update der Normen, die auf HLS aufbauen.
In diesem Jahr durfte ich einen neuen Begriff kennenlernen: AMENDMENT (= ÄNDERUNG)
Mit einem Amendment können Änderungen an Normen durchgeführt werden, ohne die Norm selbst zu ändern. Diese Amendments durchlaufen den gleichen Freigabeprozess wie die Norm selbst und erhalten damit ihre Gültigkeit.
Das technische Komitee (ISO/TC 176), welches die ISO 9001 erstellt, hat direkt im Februar 2024 ein Amendment zur ISO 9001 freigegeben, wodurch die Betrachtung des Klimawandels im Kontext der Organisation für ISO 9001 zertifizierte Organisation unmittelbar gültig ist.
Ich gehe davon aus, dass ISO 9001 Auditor:innen die Frage zur Klimarelevanz im nächsten Audit stellen werden. Daher sollten Unternehmen eine angemessene Antwort parat haben. Diese Antwort muss nicht zwingend als dokumentierte Information vorliegen, da in den Abschnitten 4.1 und 4.2 keine dokumentierte Information gefordert wird.
Das Amendment kann übrigens kostenlos erworben werden: ISO 9001 AMD 1:2024-02
Fazit
Durch die Reflexion der Einwirkungen durch den Klimawandel und die Auswirkungen auf den Klimawandel werden gute Organisationen Themen identifizieren und nach Möglichkeit positiven Einfluss nehmen.
Es bleibt zu befürchten, dass z.B. Qualitätsaudits einen falschen Fokus erhalten und zu einem Umwelt- oder Energieaudit abdriften. Solche Erfahrungen gab es bereits bei anderen Themen (z.B. durch die DSGVO). Hier sollten QM-Beauftragte und Berater:innen gut vorbereitet sein, um das Audit immer wieder auf das Kernthema des zu zertifizierenden Managementsystems (z.B. Qualität) lenken.
Wer den menschengemachten Klimawandel immer noch leugnet, dem wird auch mir dieser Textergänzung nicht zu helfen sein.
Insgesamt halte es für lobenswert, dass IAF und ISO dafür werben, dass alle Organisation die Auswirkungen des Klimawandels bewusst reflektieren, sich dafür angemessen wappnen und die Welt nach Möglichkeit ein wenig besser machen.
Beachte den ergänzenden Beitrag vom 28.10.2024 Klimawandel im Zertifizierungsaudit, welcher eine gewisse Diskrepanz zwischen Normanforderung und Auditerfahrung beschreibt.
Mehr zum Thema im QM-Impulse Podcast
In der QM-Impuls-Podcast-Episode spreche ich mit dem QMB und Zertifizierungsauditor Jan Jörgensmann über mögliche Auswirkungen auf die kommende Revision der ISO 9001:2025 und weiterer Managementsystemnormen.
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✋Jan Jörgensmann | 🖖Stephan Joseph
Sporadisch tappen auch Jan und ich in die falsche Denkrichtung, weshalb ich den wichtigsten Satz aus dem Artikel wiederhole:
Es geht nicht um die Auswirkungen der Organisation auf den Klimawandel, sondern um Auswirkungen des Klimawandels auf die Organisation!