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Valentin und die Prozesstapete
Wer ist Valentin?
Die Kaiser GmbH ist in den letzten Jahren ständig gewachsen und beschäftigt inzwischen 240 Personen. In den Gründerjahren war Valentin Kaiser jener, der potenzielle Kunden angesprochen hat und sein Studienfreund Karl war für die gesamte Produktion verantwortlich. Karl hatte einen guten Riecher für Technologie und stets kluge Investitionsentscheidungen getroffen.
Diese Schlüsselfunktionen (Valentin: Vertrieb und Karl: Produktionsleitung) wurden inzwischen auf mehrere Köpfe verteilt. So findet man im Organigramm einen Vertriebsinnen- und -außendienst mit einer strategischen Vertriebsleitung, eine Arbeitsvorbereitung, eine Produktionsplanungs- und -steuerung mit einer Betriebsleitung. Zudem gibt inzwischen eine Serviceabteilung, die Qualitätssicherung sowie die Wartung und Instandhaltung.
Valentins Erkenntnisprozess
Regelmäßig wird diskutiert, ob z.B. der Service unter der Betriebsleitung bleiben oder ob die Abteilung der Vertriebsleitung unterstellt werden soll. Auch die Unabhängigkeit der QS wird immer wieder im Führungsgremium hinterfragt.
Die Erkenntnis kam mit einer Reihe von Kundenreklamationen, deren Ursachen unterschiedlicher nicht hätten sein können. Als einzige Gemeinsamkeit hat Valentin ausgemacht, dass sich bei der Auftragsbearbeitung immer jemand auf andere Personen verlassen hat.
So wurden etwa Zeichnungsänderungen an die Arbeitsvorbereitung, nicht jedoch an die Entwicklung weitergeleitet. Da die Entwicklung die Programme zur Steuerung der Anlagen erstellt, wurde in der Produktion auf veraltete Programme zurückgegriffen. In einem anderen Fall hat der Vertrieb die Verpackungsvorgaben an die QS weitergeleitet und ist davon ausgegangen, dass diese die Kundenwünsche an den Versand weitergibt. Die QS hat zwar die Aushänge vor Ort ausgetauscht, jedoch sind die Änderungen nicht in den Köpfen der Versandmitarbeiter:innen angekommen.
Valentins Erkenntnis: „Das Organigramm löst nicht unsere Probleme. Vielmehr gibt es nur vor, von wem man seinen Urlaub genehmigen lassen muss.“
Die Aufbauorganisation schert sich nicht um Abläufe!
Valentin entdeckt Prozesse
Wer hat wann versagt? Wen kann ich anbrüllen?
So wäre Valentins Reaktionen noch im letzten Jahr ausgefallen. Aber diesmal hat Valentin einen anderen Impuls: „Über die Zeit des Wachstums haben wir versäumt festzulegen, wer, wann, wofür verantwortlich ist. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die meisten Aufträge gut durchlaufen.“
An einem Freitagmorgen lädt Valentin die Führungsriege dazu ein, den Kernablauf „Auftragsdurchlauf und Informationsweitergabe“ zu beschreiben. Was als einstündiges Meeting angesetzt wurde, resultierte in mehreren Workshops. Valentin erkannte, dass seine Führungskräfte wichtige Ablaufdetails nicht kannten, weshalb immer wieder Mitarbeiter:innen der Basis hinzugezogen wurden.
Das Ergebnis war eine Prozessvisualisierung, deren Summe aller Verbindungslinien gefühlt die Strecke von Köln bis zum Mond ausfüllt.
Valentin fielen zwei Dinge ins Auge:
- Nach fast jedem Prozessschritt wechselt die verantwortliche Abteilung.
- Informationen müssen oft an mehrere Abteilungen verteilt werden.
Mit Hilfe der Prozesstapete (dieser Name hat sich irgendwie durchgesetzt) konnten jetzt alle Führungskräfte für ihre Abteilungen klare Vorgaben erstellen und schulen, um die wirksame Durchführung des Gesamtprozesses sicherzustellen.
Abläufe nehmen keine Rücksicht auf Abteilungsgrenzen!
Gut für die Kunden der Kaiser GmbH, denn die dämlichen Fehler treten seither nicht mehr auf.
Wohin mit der Prozesstapete?
Valentin fragt sich nun, was er mit der Prozesstapete anstellen soll. Sollte er diese in Microsoft-Visio fein säuberlich darstellen und in das Organisationshandbuch aufnehmen? Ihm ist klar, dass sich der Prozess beinahe monatlich ändern wird. Er verspürt wenig Lust, die Änderungen aus der Praxis in der Prozessvisualisierung ständig nachzutragen. Sollte er das Arbeitsergebnis einfach in die blaue Tonne befördern?
Letztendlich entscheidet er sich für die Archivierung in Form von Fotos. Auch wenn die Prozesstapete wertvolle Erkenntnisse geliert hat, so erscheint sie wenig hilfreich zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen oder Ähnlichem.
Sollte zu einem späteren Zeitpunkt der Bedarf entstehen, den Prozess erneut zu analysieren, könnte man auf die Fotos zurückgreifen. Doch irgendwie hat Valentin den leisen Verdacht, dass sich bis dahin so viel am Prozess ändern wird, dass vorhandene Prozessvisualisierung wertlos sein wird.
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