Risiken und Chancen in der ISO 9001:2015

Fazit zur Revision ISO 9001:2015

Von Missverständnissen und Verbesserungen

Bis September 2018 laufen die letzten Umstellungsaudits zur Revision ISO 9001:2015. Das ist ein guter Zeitpunkt, um ein Fazit zur Revisionierung zu ziehen.

Struktur:
Wie viele andere Managementsystemnormen, wurde auch die ISO 9001 vom technischen Komitee TS 176 in die HLS High Level Structure) überführt. Das führte zu veränderten Begriffen und viele Anforderungen sind in andere Abschnitte der Norm gewandert. Endlich findet man die Themen „Dokumentation“ und „Messmittel“ im Abschnitt „Unterstützung“. Auch die „Managementbewertung“ ist jetzt im Abschnitt „Bewertung der Leistung“ besser aufgehoben. Insgesamt ist der Aufbau schlüssiger als in den bisherigen Versionen. Da Organisationen die Struktur ihres Managementsystems freigestellt ist, hat diese Veränderung keine Auswirkungen auf vorhandene Managementsysteme. Gleichzeitig schadet es nicht, die vorhandene Struktur infrage zu stellen. Finden Ihre Mitarbeiter, wonach Sie suchen?

Struktur der Norm nach der Revision ISO 9001:2015
PDCA in der HLS (High Level Structure)

Begriffe:
Einige Begriffe haben sich verändert. So wurde z.B. aus „Arbeitsumgebung“ die „Prozessumgebung“, die „Beschaffung“ finden wir nun unter „Steuerung von extern bereitgestellten Prozessen, Produkten und Dienstleistungen“ und „Lenkung von Überwachungs- und Messmitteln“ ist nun unter „Ressourcen zur Überwachung und Messung“ zu finden. Da es in der eigenen Dokumentation erlaubt ist, eigene Begrifflichkeiten zu verwenden, hat diese Veränderung keine Auswirkungen auf vorhandene Managementsysteme.

Dokumentierte Informationen:
Die Begriffe „Handbuch“, „dokumentierte Verfahren“, „Dokumente“ und „Aufzeichnungen“ wurden in dem Begriff „dokumentierte Informationen“ zusammengefasst. An 29 Stellen trifft man im Normtext auf diesen Begriff. Dokumentierte Informationen sind entweder bereitzustellen (früher Dokumente) oder aufzubewahren (früher Aufzeichnungen). Forderte die ISO 9001:2008 noch sechs dokumentierte Verfahren, so ist es den Organisationen komplett freigestellt, welche Verfahren sie dokumentieren möchten. Da auch der Begriff „Handbuch“ abgeschafft wurde, dürfen die geforderten Dokumente an beliebiger Stelle bereitgestellt bzw. aufbewahrt werden. Insgesamt sind keine neuen Anforderungen an Dokumente hinzugekommen, weshalb grundsätzlich kein zwangsläufiger Handlungsbedarf besteht. Gleichzeitig darf die Revisionierung gerne genutzt werden, um die Sinnhaftigkeit und den Nutzen der vorhandenen Dokumentation zu hinterfragen.

Kontext der Organisation:
Anwender der ISO 9001:2015 werden darauf aufmerksam gemacht, dass die Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Qualität haben können. Gute Organisationen berücksichtigen bei der Planung eines QM-Systems selbstverständlich interne Themen (Personalsituation, technologischer Stand, …) und externe Themen (Marktsituation, rechtliche Anforderungen, …), sowie die Anforderungen interessierter Parteien (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, …). Da die Norm an dieser Stelle keine Dokumentation vorsieht, besteht hier kein zwingender Handlungsbedarf. Gleichzeitig tun Organisationen gut daran, sich mit diesen Themen nachhaltig auseinanderzusetzen. Wenn dabei dokumentierte Informationen entstehen (Protokolle oder Fotos von Strategiemeetings, Analyseergebnisse, …), darf man diese gerne den Auditoren präsentieren.

Risikobasiertes Denken:
Eigentlich fordert die neue Norm zu diesem Thema weniger als die Vorgängerversion. Gemäß ISO 9001:2008 musste ein dokumentiertes Verfahren zu „Vorbeugungsmaßnahmen“ verwirklicht werden. Dieser unscheinbare Abschnitt am Ende der alten Norm wurde von Organisationen häufig mit den „Korrekturmaßnahmen“ in einen Topf geworfen. Da das Wort „Vorbeugungsmaßnahmen“ auch Bestandteil des 8d-Reports war, hat man sich oft mit einem Verweis auf das „Lernen aus Fehlern“ begnügt. Die Normschreiber haben das Thema „Vorbeugungsmaßnahmen“ um einige Abschnitte nach vorne verschoben und in „Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen“ umbenannt. Hierdurch wird der vorbeugende Charakter eines QM-Systems betont. Neu ist lediglich der Hinweis auf den „Kontext der Organisation“ sowie der neue Begriff „Chancen“. Dokumentierte Informationen werden hingegen nicht erwartet. Das ist auch logisch, da das QM-System mit allen dokumentierten Informationen (Dokumente und Aufzeichnungen) ein vorbeugendes System darstellt. Leider haben dies einige Berater, QM-Trainer und Zertifizierungsauditoren (teils bis heute) nicht richtig verstanden. Dabei wird im Anhang der ISO 9001:2015 eindeutig klargestellt, dass kein formelles Risikomanagement gefordert ist. Gemäß DAkkS Vorgaben, sollten die Auditoren zu den Unterschieden geschult worden sein. Organisationen tun grundsätzlich gut daran, risikobasierte Entscheidungen zu treffen und Chancen proaktiv anzugehen. Gleichzeitig erkenne ich keinen zwingenden Handlungsbedarf für Organisationen, die ein gelebtes QM-System ihr Eigen nennen.

Wissen der Organisation:
Das einzig wirklich neue Thema der ISO 9001:2015 findet in den Zertifizierungsaudits wenig Beachtung. Es wird als eine Mischung aus „Kompetenz“ und „dokumentierte Informationen“ betrachtet. In vielen Organisationen wurden für diese Normanforderung extra Wiki-Systeme eingeführt, welche wahrscheinlich in den nächsten Jahren wegen mangelhafter Pflege auf dem Datenfriedhof landen werden. Insbesondere bei Veränderungen sind Organisationen gut beraten, sich mit dem erforderlichen Wissen auseinanderzusetzen. Z.B. bei der Einführung einer neuen Software, bei der Anschaffung einer neuen Maschine, bei sich ändernden rechtlichen Anforderungen oder bei geplanten Personalabgängen. Zwingender Handlungsbedarf für die Normumstellung liegt jedoch nicht vor.

Der QMB ist weg:
Endlich fordert die ISO 9001:2015 nicht mehr die Benennung eines „Beauftragten der obersten Leitung“. Es werden lediglich fünf Themen aufgeführt, zu denen die Verantwortung festzulegen ist. Gleichzeitig gönnt sich die Norm mehr Text, um die Verantwortung der Leitung und die der Führungskräfte zu betonen. Das war längst überfällig. Hier besteht wahrscheinlich der größte Handlungsbedarf in den Organisationen. Schließlich wird nicht der QMB, sondern die Organisation zertifiziert. In Unternehmen, welche lediglich die „ISO-Pappe“ an der Wand haben wollen, wird sich wahrscheinlich nichts verändern.

Fazit:
Grundsätzlich die Revision der ISO 9001:2015 gelungen. Insbesondere die gewonnenen Freiheiten und der ausführliche Anhang, in dem Klarstellungen zu den Neuerungen zu finden sind, fallen positiv auf. Leider findet man weiterhin lange und verschachtelte Sätze mit nur wenigen Verben. Somit hat sich die Lesbarkeit nicht verbessert. Betrachtet man die Normhistorie der ISO 9001 seit der Revision von 1994, so lässt sich eine Entwicklung von einer QS-Norm zu einer Norm für strategische Organisationsentwicklung erkennen. Für die Organisationen mit gelebten Systemen besteht kaum Handlungsbedarf bei der Umstellung. Vielmehr kann die Normrevision genutzt werden, um die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit von vorhandenen QM-Systemen auf den Prüfstand zu stellen. Wenn Organisationen die aktuelle Umsetzung zu den Normthemen selbstkritisch reflektieren, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Verbesserungspotenziale erkennen. Was will man mehr?

Dieser Artikel erschien in der Industrial Quality Ausgabe 2/2018

Revision ISO 9001:2015 im QM-Podcast

Zu diesem Thema gibt es auch eine Episode im QM-Podcast, in der ich mich mit dem erfahrenen Zertifizierungsauditor Michael Rath von der SGS unterlhalte:

Falls Sie kompetente Unterstützung für Ihr QM-System benötigen, schauen Sie sich meinen ISO 9001 Komplettservice an.

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