Stellen Sie sich vor, Ihr/e Chef:in motiviert Sie, indem er/sie Ihnen Folgendes anbietet: „Da ich Ihnen nicht glaube, dass Sie 100 % Leistung erbringen, behalte ich 20 % Ihres Einkommens. Nur wenn Ihr Arbeitsergebnis meine Erwartungen erfüllt, erhalten Sie Ihr volles Gehalt. Sollten Sie meine Erwartungen übertreffen, können Sie sogar mehr als 100 % erhalten.“
Klingt das für Sie reizvoll?
Mit solchen Lohnmodellen, lediglich schöner formuliert und verpackt, versuchen viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden zu steuern und zu motivieren.
Leider werden hierbei viele Aspekte ausgeblendet.
Folgen, wenn Mitarbeitende extern motiviert werden
Verlust des Kundenfokus – Die Mitarbeitenden werden eher im Sinne der Prämie als im Sinne des Kunden agieren. Das ist besonders kritisch, wenn der Kunde beraten werden soll. Wenn es für Produkt A mehr Prämie gibt als für Produkt B, dann … hier spare ich mir den Rest.
Anti-Kollegialität – Teamarbeit wird bei Prämienbezahlung schwierig, da kein Teammitglied Fehler machen und lieber für positive Aktionen die Lorbeeren ernten will (warum die Prämie anderen überlassen?). Auch Teamprämien helfen hier kaum weiter, da Neid und Streit vorprogrammiert sind („Ich mache hier die ganze Arbeit und meine lieben Kollegen sacken die Prämie ein“ oder „Der Herr xy ruiniert unseren Schnitt. Der wird zum Problem.“).
Verlustangst – Mitarbeitende gehen (unterbewusst) selbstverständlich davon aus, die 20 % Prämienanteil vollständig zu erhalten. Allerdings besteht bei Prämiensystemen die Möglichkeit, dass in einem Monat weniger Einkommen auf dem Konto landet. Vor diesem Verlust haben Mitarbeiter Angst, welche zu den seltsamsten Handlungsweisen führen kann. Mitarbeiter, die Verträge mit variablen Gehaltsanteilen haben, machen leider oft den Fehler ihren Lebensstil inklusive der variablen Anteile zu planen (z. B. bei einer Hausfinanzierung).
Manipulation – Vielen Prämiensystemen liegt eine Bewertung in Form von Kennzahlen zugrunde. Kennzahlen lassen sich auf zahlreiche Arten manipulieren! Hier nur ein Beispiel einer klassischen Vertriebsprämie: Im Dezember kommt Herr xy nie auf seine Verkaufszahlen, woraufhin er seine Kunden bittet, bereits für den Januar zu bestellen. Jedoch viel beliebter und meist weniger nachvollziehbar ist das Umgehen von Kennzahlensystemen. Hierbei werden Mitarbeiter extrem kreativ.
Altersvorsorge – Prämienzahlungen werden bei der Berechnung der Altersrente nicht berücksichtigt, weshalb viele erst im Alter von 63 Jahren feststellen, dass ihnen 20 % bei der Rente fehlen.
Fairness – Hierzu ein kleines Beispiel aus dem Bereich eines Lohnfertigers: Stellen Sie sich zwei Einrichter von Fräsmaschinen vor. Kollege A ist TOP qualifiziert und „darf“ sich daher um komplexe (Neu-)Teile kümmern. Kollege B betreut seit Jahren die gleichen, einfachen Teile eines Hauptkunden. Bei komplexen Teilen ist die Fehlerwahrscheinlichkeit ungleich höher, sodass Kollege A wahrscheinlich mit einer geringeren Prämie am Monatsende nach Hause geht, obwohl er eine höher einzuschätzende Leistung erbringt als Kollege B.
Komplexität – Anbieter von Prämiensystemen argumentieren, dass man das Prämiensystem anpassen kann. Erfahrungsgemäß wird das System mit jeder Erweiterung komplexer und letztlich weiß ein Mitarbeiter nicht mehr wirklich, warum er eine Prämie erhält oder auch nicht.
Ich behaupte, dass Mitarbeitende grundsätzlich motiviert sind, eine an sie gestellte Aufgabe gut zu erledigen.
Sollten Ihre Mitarbeitenden demotiviert sein, sollten Sie sich eher darüber Gedanken machen, wie es dazu gekommen ist. Haben Sie Ihre Mitarbeiter über- oder unterfordert? Gaben Sie zu wenig Feedback? Wie ist der Umgangston? Stimmt das Grundgehalt? Wie verlief die Einarbeitung und wie steht es um die fortlaufende Qualifizierung? Haben Sie falsche Versprechen gemacht? Inwieweit können Ihre Mitarbeiter mitgestalten?
Hören Sie auf, Ihre Mitarbeiter künstlich zu motivieren und fangen Sie an Demotivatoren zu beseitigen. Wie wäre es mit einem Workshop, der die folgende Frage beantwortet: „Was hält Sie davon ab, 100 % Leistung zu erbringen?“ Setzten Sie zu den Ergebnissen Maßnahmen um oder erklären Sie Ihren Mitarbeitenden, warum sich Dinge aktuell nicht umsetzen lassen. Ihre Mitarbeitenden werden es Ihnen frisch motiviert danken!
Anmerkung: Dieser Artikel ist in der Ausgabe November 2013 der Industrial Quality erschienen.
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