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Wenn aus Kostengründen mehr gezahlt wird
Hauptsache billig einkaufen! China, Indien und Pakistan, ein El Dorado für viele Einkäufer deutscher Unternehmen. Die Lohnkosten fallen kaum ins Gewicht und fehlende bürokratische Hürden (z.B. rechtliche Anforderungen zu den Themen Arbeitsschutz und Umwelt) werden in diesen Ländern so übertrieben“ wie in Deutschland.
Im letzten Ziel(-vereinbarungs-)gespräch erhält der Einkäufer eine messbare Zielvorgabe, von der wiederum ein Teil seines Jahreseinkommens abhängt. Diese lautet beispielsweise 15 Prozent Beschaffungskosten einzusparen. Der Einkäufer fühlt sich fast gezwungen nach Fernost zu schauen. Ein erster Preisvergleich wirft beim Einkäufer die Frage auf, warum er nicht schon viel eher auf die Idee gekommen ist. Trotz Transport- und Zollkosten sind mehr als 15 Prozent möglich und die Jahresprämie scheint gesichert.
Um sich ein Bild vom Lieferanten zu machen, fliegt der Einkäufer z.B. nach Pakistan. Anmerkung: Die Reisekosten (Flug, Hotel, Überstunden, Fehlzeit, …) verschwinden in den Gemeinkosten der Organisation. Die vor Ort präsentierten Musterteile sind ordentlich und auch die Konferenzräume des Lieferanten machen einen vertrauenserweckenden Eindruck. Ein neuer Lieferant ist gefunden, „hurra“.
Kurz vor Serienstart gibt es plötzlich und völlig unerwartet Probleme bei der Erstbemusterung. Die QS stellt fest, dass die EMPBs (Erstmusterprüfberichte) nicht zu den gelieferten Teilen passen und dass die Qualität der Teile nicht den Spezifikationen entspricht. Anmerkung: Diese Kosten werden meist als Fehlerkosten (Prüfkosten, Sortierkosten, …) erfasst und der Kostenstelle QS oder QM zugeordnet.
Was folgt, ist ein Lieferantenaudit durch einen Kollegen des Qualitätsmanagements. Dieser Mitarbeiter muss sich mit dem Vorgang auseinandersetzen, das Audit vorbereiten, zum Lieferanten fliegen, das Audit durchführen und die Maßnahmen verfolgen. Zur Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen könnte eine weitere Geschäftsreise erforderlich sein. Anmerkung: Die Kosten der Lieferantenentwicklung belasten in der Regel die Kostenstelle und vor allem das Zeitkonto der Abteilung Qualitätsmanagement.
Ich kenne mehrere QM-Beauftragte, in deren Organisationen der bisher geschilderte Fall regelmäßig auftritt. Der Einkäufer jedoch hat sein persönliches Sparziel erreicht und steht glänzend da. Ob die gesamten Beschaffungskosten jedoch geringer sind, lässt sich auf Grund vieler versteckter oder falsch zugeordneter Kosten kaum ermitteln.
Es wird nicht immer fair verglichen
Billig einkaufen muss nicht falsch sein
Ich behaupte nicht, dass Beschaffung in Fernost grundsätzlich teurer oder qualitativ schlechter ist. Ich plädiere lediglich für einen fairen Vergleich unter Berücksichtigung folgender Aspekte:
- Stückpreise (inkl. Logistikkosten und -risiken)
- Lieferzeiten und Flexibilität
- Berücksichtigung von Fehlerkosten
- Prüfkosten und Sortieraufwände
- Nacharbeit und Ausschuss (inkl. Entsorgung)
- Ausfall- und Wartezeiten
- Kosten zur Lieferantenbetreuung und -entwicklung
- Reisekosten und -zeiten
- Kommunikationsaufwand (Dokumentation, Meetings, Mails, …)
- Übersetzungskosten (Arbeitsanweisungen, Vertragsprüfung nach Landesrecht, …)
- Nachhaltigkeit und ethische Aspekte
- Einklang mit den Umweltzielen der Organisation
- Innovationswahrscheinlichkeit und Know-how Transfer
Diese Liste ist bestimmt nicht vollständig. Hinzu kommen langfristige Folgen, wenn immer mehr Unternehmen ihre Produkte in Fernost billig einkaufen. Beispielsweise wird der Facharbeitermangel und die damit verbundene Innovationskraft in Deutschland weiterhin abnehmen.
Um langfristig am Markt erfolgreich zu sein, lohnt es sich bei der Beschaffung mehr Kriterien heranzuziehen, als den einfachen Vergleich der Stückpreise.